Kolumne: Bewertungsboxen

– TableTossing –
die RAGE-Kolumne

Thema heute:
Bewertungsboxen
 
 
 


 “Zylinder?”
“4 Zylinder in Reihe”
“Hah, 5 Zylinder Turbo, Audi Quattro. Ich bin!”

“Zylinder: V8!”
“äh……2-Scheiben-Wankel.”
“….!”

 

Und schon war es dahin mit der Vergleichbarkeit der Autoquartett-Karten.
Da stand man nun auf dem Schulhof und sponn sich einen Umrechnungskurs von Zylinder- zu Wankelmotor zurecht und eine Rangliste für Reihen-, Boxer- und V-Motor.

Für den Direktvergleich brauchen wir nunmal ein Bewertungsschema, ob nun bei Matheklausuren, Penislängen, Lebensmittelpreisen oder technischen Leistungsdaten.

Furchtbar, wenn man eine Waschmaschine oder ein Festnetztelefon im Technikfachmarkt kaufen will und die Produktbeschilderungen nicht die gleichen Merkmale enthalten.
Telefon A (129,- EUR) DECT, mit AB, max. 250 Einträge, mit Klingeltonfunktionen.
oder
Telefon B (129,- EUR) schnurloses Handteil, AB: 25 Min. Aufnahmezeit, 12 Klingeltöne und Weckruf.

Und welches kann nun mehr? So eine Kacke!

Daher gibt Warentest-Magazine oder den Online-Produktvergleich, der sämtliche Werte aneinanderhält.
Und selbst dort gibt es dann unterschiedliche Auslegungen, mit welcher Gewichtung die einzelnen Merkmale bewertet werden.
Rechtfertigt ein unzerstörbarer Motorradhelm krebserregende Substanzen im Futter?

Selbst bei der Wahl des Produktbewerters muss man daher einen Bewertungsmaßstab ansetzen, wenn man für sich geeignete Produkte finden will.
— das für sich geeignete Produkt — eben dies ist die Krux bei der Suche.
Nicht das Beste oder Hochwertigste oder mit dem höchsten Leistungsumfang, sondern das Produkt, das einem den größten Dienst erweist.
Insofern ist ein objektiver Produkttest sogar hinderlich, weil er eben alle anspricht aber nicht meine persönliche Neigung unterstützt.
Und selbst noch darüberhinaus erfährt die Produktwahl eine immer größere Verschiebung.
Meine Güter wähle ich nicht nur nach Komfort und Funktion, sondern auch nach gesellschaftlichen, emotionalen und integrativen Aspekten. Es gibt eben kein Punkteskala für Fairtrade.
Und was nützt mir ein schöner Cloudservice, wenn sich alle meine Freunde woanders tummeln.

Der Produktjournalismus ist tot!
Wer sich in dieser Branche an vermeintliche Objektivität klammert, gerät auf das Abstellgleis.
Denn 73% beim Sound und sogar 85% für die Grafik, was soll mir dieser Quatsch sagen und was trennt den Titel von 86%?
Selbst wer eine Skala von 1 bis 10 vorgibt, muss die Eier haben, für Scheiße eine 0 zu geben.
Trotzdem rangieren die meisten Titel bei 70% bis 90%, was den Sinn einer breiten Skala zunichte macht.

Und auch wenn man eine Punktlandung hinlegte, was sagt der Grafikscore über das Spiel aus?
Dagegen ist man “gefühlt” doch tausendmal besser informiert, wenn man bei Amazon liest, dass “Kunden die x kauften, sich auch für y interessieren” oder man bei der Musiksuche durch verwandte Playlists stöbern kann.

Die Erkenntnis beginnt zu reifen, dass es viel wichtiger ist, was Menschen konsumieren, deren Werte und Haltung Dir wichtig sind und ob diese Menschen Dich gut einzuschätzen vermögen, wenn sie Dir etwas weiterempfehlen.

Vor diesem Hintergrund bringt es die als flapsig und floskelhaft belächelte Apple-Kampagne genau auf den Punkt.
“Wenn Du kein iPhone hast, dann hast Du kein iPhone”
Was erst einmal klingt, als hätte der Agenturpraktikant sich daran versucht, beschreibt auf den zweiten Blick haargenau die heutigen Kaufentscheidungen.

Damals, als es noch nicht so viele Titel gab, da wusste man genau, welche Filme, Musikstücke oder Computerspiele man kennen muss.
Die Eintönigkeit auf dem Massenmarkt ließ dann Nischenprodukte entstehen, die objektiv so nicht mehr bewertbar waren.
Es sollte in der Videospielbranche daher einen Kanon geben, welches Spiel man kennen muss, welche Spiele in Deinem Lieblingsgenre die Großen sind wovon man zumindest mal im Vorbeigehen gehört haben sollte.

Denn besser als alle Wertungen dieser Welt bleibt nunmal der einfache Spiele-Link mit der knappen Empfehlung eines Freundes:
“Hey, check this out, bro…    http://www. bla blubb…  ”


5 Gedanken zu „Kolumne: Bewertungsboxen

  1. Das Thema ist ja nicht neu, kommt aber irgendwie alle Jahre wieder. Ich glaube, dass die “Evolution der Spiele als Kunstform” eine Wertung nicht unbedingt komplett sinnlos macht. Die Diskussion bei 4Players liefert da ein paar interessante Einblicke:
    http://www.4players.de/4players.php/tvplayer/4PlayersTV/Alle/35355/113801/4Players-Talk/Brauchen_Spieletests_eine_Wertungszahl.html

    Und wenn Dir ein Freund sagt: “Hey, das ist richtig gut” oder “Hey, das ist ganz okay”, dann steckt da genauso eine Einstufung drin. Und wir wollen doch als Stubenzocker nichts anderes, als ein guter Freund sein, oder?

    1. Sehe ich auch so. Und bei 4players kann man die Bewertung auch in seinem Account deaktivieren. Bei jedem Spiel steht entsprechend: “Du willst keine Wertung sehen?
      Schalt sie ab!”.
      Da finde ich die Wertung von Fussballspielen manchmal viel ungerechter und nichtssagender. Aber die Diskussion, ob man die Tore weglässt, kommt dann ja vielleicht auch noch …

  2. Ich will mich gar nicht daran reiben, dass Punktewertungen unfair sein könnten und ich etwas Kuscheligeres brauche.
    Daher nützt es auch nicht, die Bewertungsbox ausblenden zu können, wenn der Beitrag weiterhin auf die abschliessende Bewertung hin geschrieben wird.
    Das 4Players-Interview trifft damit auch nicht die ursächliche Idee, endlich dieser vermeintlichen Objektivität den verdienten Arschtritt zu geben.
    Meinetwegen darf gern bewertet werden, muss im Grunde ja auch, da ja allem (Michi erwähnte es oben bereits) eine Einstufung innewohnt.

    Nur warum sich antiquierte Bewertungsschemata ausgerechnet bei einem Unterhaltungsmedium so hartnäckig halten, will mir nicht in den Sinn. Von keiner vergleichbaren Branche wüsste ich (Energieeffienzklassen für Kühlschränke mal ausgenommen), dass sie sich an solche nichtssagenden Maßstäbe klammert. Oder könnt ihr mir sagen, welche Prozentwertung das Weisse Album der Beatles hat?
    Den Spielejournalismus selbst stelle ich in Frage, in seiner verkniffenen Stock-im-Arschigkeit.
    “Es gibt 48 Levels mit 3 Bonusstages und die 3, pardon 4(!) Hauptakteure können zwischen 16 Waffengattungen auswählen! Ein bombastisches Erlebnis von gigantischem Ausmaß und es stehen schon 2 DLCs in den Startlöchern. 92%”
    Dem New Journalism ist diese konservative Branche damit leider noch sehr fern.

    So warte ich weiterhin, dass die mal ein paar Prädikate rauszuhauen.
    ‘influental’ beispielsweise oder ‘cozy’ oder ‘very zeitgeist’ oder auch mal ‘Dieses Spiel wird Dein Leben verändern’.

    1. Es gibt natürlich mehr Müll als Gold und das Aufzählen von Features kann ein Grim Fandango nicht beschreiben. Vielleicht hilft es aber dem einen oder anderen bei seiner Entscheidung Fifa 15 oder PES 15 zu kaufen. Vielleicht möchte man doch die Bundesliga nachspielen oder hätte in seinem kommenden Lieblingsprügelspiel gern mehr als drei verschiedene Stages und fünf Kämpfer. Ich würde auch hier nicht Pauschalisieren, auch wenn das Rage-technisch natürlich verdammt mal cooler ist.
      Nichtsdestotrotz: ich habe echt die GEE gemocht und mir hat der “GEE liebt mich!” Sticker gereicht, aber die gibt es ja nun nicht mehr und ggf. liegt das auch daran.
      Ach, hier gibt’s Musik-Ratings: http://www.metacritic.com/music

      1. Hand auf’s Herz,
        gehst Du bei der Wahl Deiner Spiele tatsächlich nach Punktewerten?
        The Dream Machine hat auf Stubenzocker.net 9/10 Punkten abgeräumt. Viel Spass damit!

        In Wirklichkeit gibt es doch ganze Genre, die Du einfach ausblendest, egal welchen Score sie haben. Wie könnte man Dich also dort mit einer Punktewertung, die Du so befürwortest, überhaupt erreichen?

        Um meine Spiele zu finden benötige ich keinen Games-Journalismus.
        Aber um ausserhalb meiner Genre die Augen geöffnet zu bekommen, dafür hätte ich es schon gern, wenn man mir Titel ans Herz legte.
        Anders hätte ich nie erfahren, dass mir Hotline Miami, Super Hexagon oder Luftrausers auf irgendeine abnorme Weise gefallen könnten.

        Ein Spiel muss nicht gut sein, um besondere Achtung zu erlangen.
        Denn wenn es eine Einzigartigkeit besitzt, die künftigen Spielen als Referenz gilt, dann wirft man Punkte gern über Bord und reckt diesen Titel in den Scheinwerfer.

        Mir unbegreiflich, warum Menschen dazu immer Hitlisten führen müssen. Und es offenbar gar nicht können.
        Ärgerliches Beispiel: Der Top800 Megahit-Marathon eines Radiosenders ermittelt jährlich die größten Hits.
        Auf den hinteren Plätzen halten sich tapfer seit 1989 einige Songs, die ich daher übermütig als Evergreens betiteln würde, während die Top20 jedes Jahr aus den aktuellen Charts bestehen, die im Folgejahr wieder komplett vergessen sind.
        Was soll dann so eine Megahit-Auswahl aussagen?
        Dass es da draussen wirklich Menschen gibt, die ein Jahr lang glauben, dass Britney Spears und Will.i.am den grössten Hit aller Zeiten geschrieben haben?

        Ich kenne die Wertungen für Super Mario Bros. und Legend of Zelda nicht.
        Aber ich bin überzeugt, dass es sich um Titel handelt, von denen man unbedingt gehört haben muss. Und ich bin leider auch überzeugt, dass einige ihrer Nachfolger-Titel bessere Wertungen erhalten haben als das Original, obwohl sie viel unbedeutender sind.
        Einen Mario-Titel habe ich nie gespielt, aber als C64-Besitzer war es dafür unmöglich, an Giana Sisters keinen Spass zu haben.
        Eine Spielefachzeitschrift mit ausgefeiltem Bewertungsschema und objektiver Berichterstattung habe ich dafür nicht hinzuziehen müssen.

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